„Unsere Zeit braucht Friedensstifter“
„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen“. (Matthäusevangelium 5,6)
Diese Worte von Jesus läuten in den evangelischen Kirchen die Friedensdekade ein. Sie begann am Sonntag und dauert bis zum Buß- und Bettag.
Unsere Tersteegen-Gemeinde nimmt die Worte Jesus zum Anlass für ein tägliches Friedensgebet. Bis zum 18. November lädt unser Pfarrerehepaar von montags bis freitags, von 11.45 bis 12.00 Uhr zum täglichen Friedensgebet ein.
Den Anfang machte gestern Pfarrer Jürgen Hoffmann. „Jesus Christus hat denen, die Frieden stiften, das Reich Gottes verheißen. Im Vertrauen auf Gottes Geist bitten wir um den Frieden. Wir benennen die Situationen und die Menschen, an die wir jetzt denken, und bringen sie vor Gott. Wir beten: Gott, du siehst das Leid und das Elend in dieser Welt. Nimm dich derer an, die unter Krieg und Terror leiden, die Gewalt erfahren haben und auf der Flucht sind, die ohne Obdach und ohne Zukunft sind.
Und unsere Zeit braucht Friedensstifter. Es braucht sie überall dort, wo die kleinen Konflikte und die kriegerischen Auseinandersetzungen das Weltklima vergiften.
Es braucht Menschen, die nicht einstimmen in die Sprache von Gewalt, Egoismus und Habsucht. Die in sich ruhen, die Frieden in sich tragen und diesen Frieden weitergeben.
Was für eine schöne Perspektive. Und der Wunsch, dass Gottes Frieden bei uns und in uns wohnen möge – auch oder gerade, weil die Situation nun einmal so ist, wie sie ist.“
In seiner „Predigt“ erinnerte Pfarrer Hoffmann an besondere Ereignisse in der neueren deutschen Geschichte an diesem Tag.
1918 Novemberrevolution in Berlin. Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann.
1989 Mauerfall in Berlin
Aber auch an den 9. November 1938, der Reichspogromnacht als “brutale geschichtliche Zäsur”. Der Novemberpogrom fällt in eine historische Konstellation, in der die “Judenpolitik” des nationalsozialistischen Regimes an einem Wendepunkt angelangt war. Es markiert End- und Anfangspunkt einer Entwicklung. Die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 steht für den Antisemitismus in Deutschland.
Die Aussage der Zeitzeugin Hanna Zürndorfer auf dem zweiten Plakat führt vor Augen, was sich konkret dahinter für die betroffenen Menschen verbarg: „Sie rasten durchs Zimmer und zertrümmerten, zerschmetterten, zertrampelten alles.“ Ihr Zitat beschreibt die physische Zerstörung, aber auch das Zerbrechen jeglichen Sicherheits- und Heimatgefühls jüdischer Düsseldorferinnen und Düsseldorfer innerhalb dieser 24 Stunden.
Predigt am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 8.11.2020 in der Tersteegenkirche mit Pfarrer Jürgen Hoffmann.
Predigttext: Lukas 17, 20-25 „Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch!“ Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
- Der Monat November ist mit der Farbe grau bedacht worden. Nach dem goldenen Oktober eine Kehrtwendung um 180 °. Gefühlt liegt eine novermbergraue Woche hinter uns.Die Wahl in den Vereinigten Staaten hat uns erleben lassen, wie grundlegende Werte wie Wahrheit, Vertrauen, Ehrlichkeit in kürzester Zeit verloren gehen können.Wir schauen fassungslos auf die Anschläge in Nizza und Wien. Und da sind schließlich uns alle unmittelbar betreffend die deutlichen coronabedingten Einschränkungen. Sie werden einmal mehr viele Menschen und Einrichtungen an den Rand ihrer Existenz bringen. Die, die ohnehin schon in einer mehr oder weniger selbstverordneten Quarantäne leben, werden in eine weiter zunehmende Isolation, Vereinsamung, Depression geraten. Die Maskenpflicht in der ganzen Stadt für uns alle ist da angesichts der Situation eine unangenehme, aber verschmerzbare Einschränkung.Wir spüren, auch wenn wir selbst nicht unmittelbar betroffen sind, dass sich hier etwas ausbreitet, das uns verunsichert und das ganze Leben noch einmal verändert und in Beschlag nimmt.Was hält uns und trägt uns in dieser Situation?
- Frühere Generationen, aber durchaus Menschen unter uns sehen in Krisensituationen das Ende der Welt nahe herbeikommen. Wenn sich Krankheiten und Seuchen ausbreiteten, wenn Naturkatastrophen einsetzten, wenn politische Ereignisse normale Menschen schlicht überforderten und sie sich ihnen hilflos ausgeliefert fühlten oder wenn merkwürdige Himmelserscheinungen wie z.B. Kometen Raum für Aberglauben ließen, dann schien das Ende der Welt nahe. Schon zur Zeit Jesu sahen sich die Menschen bedroht: Das Land war besetzt, Terror war an der Tagesordnung. Menschen suchen Zuflucht u.a. in ihrer Religion.Sie fragen: Wann kommt Gott und wie wird er eingreifen? Wann kommt Gottes Reich? Und woran kann man es erkennen?
Jesus gibt darauf diese Antwort: Lukas 17, 20-2520. Die Pharisäer wollten von Jesus wissen: »Wann wird denn Gottes Reich kommen?« Er antwortete ihnen: »Gottes Reich kann man nicht sehen wie ein irdisches Reich. Niemand wird sagen können: ›Hier ist es!‹ oder ›Dort ist es!‹ Denn Gottes Reich ist schon jetzt da – mitten unter euch.« Zu seinen Jüngern aber sagte er: »Die Zeit wird kommen, wo ihr alles dafür geben würdet ,auch nur einen einzigen Tag die Herrlichkeit des Menschensohnes mitzuerleben. Aber dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen. Man wird euch zwar einreden wollen: ›Seht doch! Hier ist er!‹ oder ›Dort ist er!‹ Geht niemals dorthin und lauft solchen Leuten nicht nach! Denn wenn der Tag da ist, kommt der Menschensohn für alle sichtbar – wie ein Blitz, der den ganzen Horizont erhellt. Aber vorher muss der Menschensohn noch viel leiden und es erdulden, dass ihn die Menschen dieser Generation von sich stoßen.« Amen.
- Zugegeben, diese Vorstellung ist nichts für schwache Gemüter und ich bin ehrlich gesagt, nicht ganz unglücklich, dass wir uns das aus der Distanz anhören und ansehen können. Die Pharisäer verkörpern dabei die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung und die Suche nach Antwort im Glauben. Jesu Antwort höre ich so: Das Kommen des Reiches Gottes entzieht sich unseren menschlichen Maßstäben. Es ist nicht berechenbar, planbar, kontrollierbar – weil Gott selbst es nicht ist. Gott ist souverän. Aber: Gott selbst macht diese furchtbare Erfahrung, und ich möchte sagen: durchgängig bis heute – dass die Welt ihn nicht akzeptiert, ihn nicht aushält, ihn nicht erträgt, nicht auf ihn hört, ihn ausstößt. Der Schöpfer der Welt ist in ihr nicht willkommen. Und dennoch: Gott zieht sich nicht aus der Welt heraus. Er macht es sich nicht bequem und lässt den Dingen ihren Lauf. Vielmehr, das glaube ich, begibt er sich dorthin, wo es am schwierigsten und das Elend am größten ist. Er ist sozusagen mittendrin. Er leidet selbst an und mit dieser Welt. Das glaube ich tatsächlich auch im Blick auf uns und unsere Situation. Gott ist immer nah dran, mittendrin, nie entfernt und abwesend. Da ist dieser eine Satz, der es auf den Punkt bringt: Das Reich Gottes ist schon jetzt da – mitten unter euch. Oder als Übersetzung ist auch möglich: Das Reich Gottes ist in euch oder: inwendig in euch (Martin Luther) .Im Blick auf uns und unsere Welt macht es einen Unterschied, ob wir glauben, dass Gott da ist, gegenwärtig ist oder nicht. Vielleicht ist alles um uns herum in Unruhe und wir können dennoch ganz bei uns sein, in einem Frieden sein. Gottes Reich ist von uns aus gesehen weniger ein Tun und Selbermachen, als vielmehr ein Sein oder ein Annehmen. Wir können – wie im Vaterunser darum bitten – aber wir können es nicht machen. Das Reich Gottes setzt allen Machern und Machthabern ihre Grenze.
- Aber natürlich können wir und sollen wir etwas tun. Erstens: Die Kontaktbeschränkungen nicht nur als Defizit sehen. Die Blickrichtung ändern: Ich habe jetzt Zeit, mich mir selber auszusetzen, in mich zu schauen. Mit meinen Inneren Augen wahrzunehmen, was das heißt: Gott in mir oder Gottes Reich ist schon in mir. Neben allen negativen Gefühlen und Eindrücken findet sich in uns ein heiliger Raum. Vielleicht haben Sie ihn noch nie betreten. Dann nehmen Sie doch diese Zeit, diesen Raum in sich finden und aufzusuchen. Und vielleicht entdecken Sie diesen Raum des Friedens, der Liebe, des Segens in sich selbst. Zweitens: Ich glaube z.B., dass es jetzt unsere Aufgabe ist – auch als Gemeinde – gut aufeinander acht zu geben und vor allem auf die Schwächeren und Gefährdeten sehen, dass wir uns nicht ganz aus den Augen verlieren. Gerade jetzt, wo die persönlichen Kontakte so eingeschränkt sind, ist es unbedingt wichtig, in Verbindung zu bleiben und zu schauen, dass keiner verloren geht.
Drittens: Der heutige Sonntag ist gewissermaßen eine Einladung dazu, zur Besinnung zu kommen: Heute beginnt in den Kirchen die diesjährige sogenannte Friedensdekade – ein Zeitraum von zehn Tagen bis zum Buß- und Bettag, in dem jede und jeder aufgerufen ist, über den Frieden nachzudenken, für den Frieden zu beten und, wo immer es möglich ist, etwas für den Frieden zu tun. Wir werden ab morgen unsere Kirche öffnen, für eine Stunde am Vormittag – von 11-12. Wen es nicht zu Hause hält, der kann sich hier in die Kirche setzen, auf andere Gedanken kommen, mit sich oder Gott oder auch mit uns ins Gespräch kommen. Jeden Tag beschließen wir um 11.45 -12.00 Uhr mit einem Friedensgebet. Wir werden die kommenden Tage nutzen und für den Frieden beten: in der Welt, in unserer Stadt und in uns.„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Diese Worte Jesu aus dem Wochenspruch werden uns dabei leiten.Vielleicht mögen Sie ja mitbeten, dann sind Sie herzlich dazu eingeladen. Wir werden merken, dass Gottes Friede zuerst und vor allem einem jeden und einer jeden von uns gilt. Gott möchte, dass wir zuerst mit uns selbst im Frieden sind.
5. Es gibt etwas gegen das Novembergrau: Jedes Gebet für den Frieden und jede noch so kleine Tat, jedes Wort, jeder Gedanke, jeder Segen kann Sie und Dich zu einem Friedenstifterwerden lassen. Und das trägt in sich eine wunderbare Verheißung, dass nämlich immer dann ein kleines Stück von Gottes Reich ein Stück Wirklichkeit wird. Nichts von dem, was wir dafür tun oder beten, geht verloren. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinnen in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen“.
Texte und Fotos (soweit nicht anders angegeben): Hans Albrecht
Kontakt: Ev. Tersteegen-Kirchengemeinde, Presbyter Hans Albrecht
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